Ein Haus zieht um ...

Im Jahre 2000 musste ein über 200 Jahre altes Fachwerkhaus dem Radweg von Colnrade nach Holtorf weichen. Stephan Meyer-Schrage und Petra Schrage kauften das Haus, bauten es ab, um es mit viel Idealismus, Enthusiasmus und jede Menge Arbeit 2 ¼ Jahre später in Beckstedt nach Wiederaufbau ihr Eigenheim nennen zu dürfen.

altes Fachwerkhaus

Das Haus von Adolf Meyer aus dem Jahre 1766 erhielt 1821 einen Anbau. Es war auch gleichzeitig sein Elternhaus gewesen und war bis zum Erwerb von Stephan und Petra in seinem Eigentum. Bis zuletzt wurde es von Anselma Linz bewohnt. Elektrischer Strom war vorhanden, eine moderne Heizungsanlage gab es aber nicht, und so musste Tag für Tag in kalten Jahreszeiten ein Holzofen für wohlige Wärme sorgen. Die sanitären Einrichtungen muss man sich in der Form vorstellen, dass es draußen einen Donnerbalken gab. Das heißt, egal was für ein Wetter vorherrschte, wenn der Magendarmtrackt nach Entleerung rief, musste man erstmal raus, um auf den Thron zu steigen.

Die Namensgleichheit von Stephan und Adolf beruht nicht auf eine verwandtschaftliche Beziehung und ist rein zufällig.

Zunächst war geplant, das denkmalgeschützte Haus stehen zu lassen und den Ausbau der Straße samt Radweg der örtlichen Gegebenheit anzupassen. Da aufgrund der räumlichen Enge keine Möglichkeit gefunden wurde, erhielt der Ausbau des Radweges den Zuschlag, und das Haus verlor seinen Denkmalschutz. So konnten Petra und Stephan ihr Vorhaben angehen. Sie waren aber nicht die einzigen Interessenten gewesen.

Das alte Fachwerk und die alten Steine wurden in mühevoller Handarbeit restauriert, der Mörtel von den alten Steinen abgeklopft und nur morsche Balken gegen neue "alte" ersetzt. Es konnten fast alle Steine des Hauses wiederverwendet werden. Ausnahme die Steine am Giebel mit dem Dielentor. Diese waren irgendwann in den 80-er Jahren gegen neue ersetzt worden und hatten halt nicht das historische Alter des Hauses.

felssteinsockel fachwerkhaus

 

 

Das Fachwerk war ebenfalls derart gut in Schuss, dass es fast komplett zum Aufbau wiederverwendet werden konnte.

Der untere Bereich des Ständerwerks konnte den vielen Jahren nicht trotzen und wurde gekürzt. Die fehlende Höhe wurde durch einen Sockel  aus Felssteinen und Klinker ersetzt.

 

Auch der Giebel mit dem Rundbogentor war zum überwiegenden Teil verwittert. Einzig der Torbalken einschließlich Ochsenkopf und Kopfbänder konnte im  Original erhalten werden. Der Balken mit der Inschrift musste allerdings gedreht werden. Der verwitterte Schriftzug wurde kopiert und wieder in den Rundbogen geschnitzt.

Eine Schnitzerei mit den Namen "Plümer" gibt Hinweise auf Eigentümer vergangener Zeiten, also noch vor Familie Meyer.

Soweit es die Stabilität zuließ, wurden ganze Fachwerkwände bzw. -wandteile von Colnrade nach Beckstedt transportiert. transport fachwerkwändeHierzu diente ein ganz besonderer Trecker von Stephan. "Den darf ich niemals verkaufen. Der hat unser ganzes Haus ab- und aufgebaut", so der Bauherr. Alles andere wurde einzeln demontiert und akkribisch numeriert.

Der Dachstuhl mit den Dachlatten war aus Eiche und wurde zu 80% auf der später neben dem Wohnhaus errichteten Remise wiederverwendet. Die Substanz des alten Nebengebäudes war hingegen in einem derart schlechten Zustand, dass das Baumaterial außer ein paar Ziegelsteinen keine Wiederverwendung fand.

 

 

Unter den Klinkern des Dielenbodens wurden kleine Felssteine sichtbar. Hierbei handelte es sich offenbar um den alten Untergrund in der Diele, wo sich die Tiere befanden.

Die Innenwand an der jetzigen Treppe wurde aus Steinen im sog. "Klosterformat" von einem Gutshof bei Sudwalde errichtet. Diese Steine waren mit Muschelkalk verputzt, der nur schwer zu entfernen war. Man verhalf sich eines Tricks. Die großformatigen Steine wurden im Winter unter frostigen Temperaturen gelagert. Der überwiegende Teil des Muschelkalks konnte den niedrigen Temperaturen nicht standhalten und konnte leichter abgeklopft werden.

Das Fachwerkhaus von Adolf Meyer war das einzige Haus in der Gemeinde Colnrade, dass zum Teil noch ein Strohdach hatte und nur stellenweise mit Reet eingedeckt war. Das Strohdach bzw. Reetdach wurde gegen ein Tonpfannendach ersetzt. Diesbezüglich äußerte Stephan eher scherzhaft: "Irgendein Idiot hat das alte demontierte Stroh bzw. Reet angesteckt, dass auf einer Weide gelagert wurde. Das sollte doch wieder auf dem Dach Verwendung finden."

Das Haus soll in den Jahren so schief geworden sein, dass diagonal gesehen ein Höhenunterschied von bis zu 50 cm bestand.

Jede freie Minute investierten die beiden Häuslebauer in der Verwirklichung ihres Traums. Zimmermann Hinrich Kracke stand mit seinem Fachwissen mit Rat und Tat zur Seite.

Das schönste war, so Petra und Stephan, dass so viele Leute mitgeholfen haben. "Zwischendurch haben wir von unserem Bauhelfer Heinz Imhülse gehört, dass sich einige Leute im Dorf Sorgen machten:

"Den olen Schiet find de jo gornich wedder to hope!"

Nachher kamen aber alle mit Blumen und wollten mal gucken."


Größere Problem gab es nicht, so die Bauherren. "Man braucht bloss Fläche, um das demontierte Baumaterial zu lagern. Wir mussten zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Abbau fertig sein. Noch während des Abbaus, fing der Bau des Radweges an. Da kann man nicht wie bei einem Neubau die Ware nach und nach bestellen."

Das Haus wurde von der Raumaufteilung im Erdgeschoss fast so wieder hergerichtet, wie es vorher war.

Das Obergeschoss war im alten Haus im Gegensatz zum "neuen" Haus nicht ausgebaut. Da wo vorher eine kleine Stiege nach oben führte, ist jetzt das Gäste-WC. Man richtete sich bei der Zimmereinteilung nach den vorgefundenen Gegebenheiten.

Der Fußboden bestand wie jetzt auch aus Holzdielen. Nur war vorher im Erdgeschoss Sand unter den Brettern. Das ist natürlich jetzt anders.

 

 

 

Da das Obergeschoss ausgebaut wurde, erhielt der Umbau einen Erker.

Im März 2000 begann der Abbau des Fachwerkhauses unter den zum Teil wehmütigen Augen des früheren Eigentümers Adolf Meyer. Es ist natürlich nicht schön, wenn man sieht, wie alte Erinnerungen dem Erdboden gleich gemacht werden. So war das alte Kinderzimmer von Adolf Meyer noch vorhanden, in dem früher sein Fahrrad an der Wand hing. Ein Trost war aber sicher für ihn, dass keine Entsorgung stattfand, sondern das Haus an anderer Stelle wieder zum Wohnen dienen sollte.

Im Winter des selben Jahres war der Wiederaufbau soweit fortgeschritten, dass der "Bau" dicht war. Jetzt konnte mit der Innenschale angefangen werden. Richtig gehört, erst erfolgte der Aufbau des Ständerwerks und dann wurde die Innenschale gemauert. "Ich habe darauf geachtet, dass beim Wiederaufbau die alte Zimmermannskunst gewahrt wird", so Stephan. Das Fachwissen hatte er von seinem Helfer Hinrich Kracke, aus Büchern und seiner jahrelangen beruflichen Erfahrung als Maurerpolier.

Ganz schadlos ging der Ab- und Wiederaufbau natürlich nicht von statten. Jochen Kirchhoff krachte in die alte Güllegrube des Hauses und musste sich eiligst umziehen, und Heinz Imhülse brach sich seinen Fuß.

Im September 2002 zogen Petra und Stephan in ihr neues "altes" Haus ein. Mittlerweile ist noch eine alte Scheune dazu gekommen und ein Spieker, natürlich alles aus Fachwerk.

Bereut haben die beiden Bauherren ihr Unterfangen nach eigenen Angaben nicht. Nur Angst vor Spinnen darf man nicht haben, so Petra. Und einen guten Staubsauger!

Und hier die wirklich gelungene Vollendung!
Anmerkung: Wenn man mit dem Mauszeiger über das Bild fährt (nicht klicken) sieht man, wie es vorher aussah!

Der Umzug eines Hauses in der Gemeinde Colnrade wurde bereits 1966 vollzogen. Allerdings blieb das Haus nicht in der Gemeinde, sondern wurde in Ostrittrum wieder aufgebaut. Ansonsten kann man schon von einem herausragenden Ereignis sprechen, dass so oft sicher nicht vorkommt.



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